Stadt – Land – Fluss

Zur Eröffnung der Ausstellung  STADT – LAND – FLUSS  von Susanne Binsack am 1. März 2003 im Palais Rastede gab Herr Jörg Michael Henneberg von der Oldenburgischen Landschaft die folgende Einführung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Binsack!

“Die Kunst hat den Menschen kennengelernt, bevor sie sich mit der Landschaft be­schäftigte. Der Mensch stand vor der Landschaft und verdeckte sie, die Madonna stand davor, die liebe, sanfte italische Frau mit dem spielenden Kinde und weiter hinter ihr erklang ein Himmel und ein Land mit ein paar Tönen wie die Anfangsworte eines Ave Maria. Diese Landschaft, die sich im Hintergrund umbrischer und toskani­scher Bilder ausbreitet, ist wie eine leise, mit einer Hand gespielte Begleitung, nicht von der Wirklichkeit angeregt, sondern den Bäumen, Wegen und Wolken nachgebildet, die eine liebliche Erinnerung sich bewahrt hat. Der Mensch war die Hauptsache, das eigentliche Thema der Kunst, und man schmückte ihn, wie man schöne Frauen mit edlen Steinen schmückt, mit Bruchstücken jener Natur, die man als Ganzes zu schauen noch nicht fähig war.” schrieb Rainer Maria Rilke in seiner 1910 erschienenen Worpswede-Monografie, die sicherlich eine der lyrischsten Landschaftsdarstellungen innerhalb der Kunstliteratur ist. Mir scheinen diese Sätze ganz besonders passend für die Malerei und die Skulptur von Susanne Binsack zu sein, weil Rilke auf das Allgemeine, das Archetypische anspielt. An anderer Stelle in dem gleichen Buch geht Rilke auf das Verhältnis des modernen Menschen, besonders des Stadtbewohners, zur Landschaft ein. “Ähnlich wie die Sprache nichts mehr mit den Dingen gemein hat, welche sie nennt, so haben die Gebärden der meisten Menschen, die in den Städten leben, ihre Beziehung zur Erde verloren. Sie hängen gleich­sam in der Luft, schwanken hin und her und finden keinen Ort, wo sie sich niederlassen können.” Susanne Binsack gibt uns in ihrer Malerei etwas von dieser verlorenen Unschuld wieder. Die 1938 in Königsberg/Ostpreußen geborene Künstlerin schert sich nicht um irgendwelche Ismen oder Trends. Malen bedeutet ihr, sich mitteilen können, und das Medium ist für sie kein Ort für spitzfindige Versuche. Die Künstlerin strebt einer allgemein verständlichen bildnerischen Sprache zu, deren unerhörte Einfachheit und Stringenz zu überzeugen vermag. 

Susanne Binsack ist von der norddeutschen Landschaft geprägt. Von der Weite, den tieflastenden Horizonten und den Farben, die leuchten können und oft doch sehr ver­halten erscheinen. Wie beim Ballet folgt eine scheinbare Mühelosigkeit auf einen sehr konzentrierten, oft anstrengenden Arbeitsprozeß. Die einfache Form ist für Susanne Binsack das Hauptanliegen ihrer Arbeit. Landschaft, Architektur und der Mensch werden mit malerischen Mitteln aufs Allgemeingültigste hin reduziert. Die Mutter mit Kind, die weite Landschaft, die Skulptur mit ihrer geschlossenen Form, all dies kündet von einer Freude am Dasein, von Zuversicht und von einer großen Ehrfurcht vor der Schöpfung. Betrachten wir einmal ihre Portraits, so wird bei aller formalen Reduktion die Individualität nirgendwo aufgehoben, die Würde des Menschen in seiner Unverwechselbarkeit bewahrt. Man mag sich an Paula Modersohn-Beckers Mutterdarstellungen erinnert fühlen, die die Erde und Schöpfung gleichsam versinnbildlichen. Ein solcher Analogieschluß ist bestimmt so unrichtig nicht und doch scheint mir, daß Susanne Binsack etwas anderes dabei im Sinne hat. Bei Paula Modersohn-Becker ging es durchaus um Monumentalisierung, um Blut und Boden in einem freilich ideologiefreien Sinne. Susanne Binsack hingegen zeigt uns würdevolle Frauen voller Gelassenheit und bewußter Daseinsfreude. Das Individuelle liegt dabei nicht so sehr im Detail, das sie übrigens in ihrer großflächigen Malerei eher negiert, es liegt in der Far­­bigkeit und der Geschlossenheit der Form. Gleiches gilt für die Landschaft und die Architektur. Topographische Genauigkeit, Vedutenmalerei oder verifizierbare Landschaften sind hier keinesfalls beabsichtigt. Susanne Binsack ist eine Malerin des Atmosphärischen. Der Regentag, die Dämmerung, die Morgenstun­de, der Nebel, all dies wird von der Künstlerin durch Farbe und Form in geradezu archetypischer Weise festgehalten und für den Betrachter erfahrbar. Es liegt dabei auf der Hand, daß in diese Arbeiten eigene Erlebnisse eingewoben sind, die die Künstlerin bei Spaziergängen, Fahrradtouren und auf Reisen gehabt hat. Insofern ist die Malerei von Susanne Binsack eine Malerei von Eindrücken, von Impressionen. Dieses alles wird dann zur Form und damit allgemeingültig. 

Auch in ihren Stilleben ist Susanne Binsack eine Malerin des Einfachen und eine überzeugende Coloristin, die die lauten Töne meidet. Geschlossen und beeindruckend erdig sind auch die Skulpturen von Susanne Binsack, die sie in Sandstein ausgeführt hat. Das Thema dieser Arbeiten ist der Mensch. Es sind Paare und einzelne Personen, die sie greifbare Gestalt werden läßt. Auch hier ist es das Allgemeingültige, das Archetypische, das sie plastisch anstrebt. Paare verschmelzen miteinander und werden zu einem Individuum. Man mag an Brancusi, Modigliani oder an Maillol denken, wenn man kunsthistorische Vergleiche ziehen möchte. Susanne Binsack ist auch hier der figurativen Gestaltung verbunden. Es ist keine Skulptur, die die Formprobleme in den Vordergrund rückt, sondern eine, die den Betrachter ganz unmittelbar anspricht und berührt. Das Wesentliche ist das Ziel ihrer Arbeit und natürlich Allgemeinverständlichkeit. Susanne Binsack, eine Künstlerin der leisen Töne und eine Künderin von Humanität. Diese Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch ihr Werk und sie beweist, daß auch die klassischen Themen wie Stilleben, Landschaft und Portrait im gegenwärtigen Kunstgeschehen ihren Platz behaupten.