Stadt – Land – Fluss

Zur Eröffnung der Ausstellung  STADT – LAND – FLUSS  von Susanne Binsack am 1. März 2003 im Palais Rastede gab Herr Jörg Michael Henneberg von der Oldenburgischen Landschaft die folgende Einführung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Binsack!

“Die Kunst hat den Menschen kennengelernt, bevor sie sich mit der Landschaft be­schäftigte. Der Mensch stand vor der Landschaft und verdeckte sie, die Madonna stand davor, die liebe, sanfte italische Frau mit dem spielenden Kinde und weiter hinter ihr erklang ein Himmel und ein Land mit ein paar Tönen wie die Anfangsworte eines Ave Maria. Diese Landschaft, die sich im Hintergrund umbrischer und toskani­scher Bilder ausbreitet, ist wie eine leise, mit einer Hand gespielte Begleitung, nicht von der Wirklichkeit angeregt, sondern den Bäumen, Wegen und Wolken nachgebildet, die eine liebliche Erinnerung sich bewahrt hat. Der Mensch war die Hauptsache, das eigentliche Thema der Kunst, und man schmückte ihn, wie man schöne Frauen mit edlen Steinen schmückt, mit Bruchstücken jener Natur, die man als Ganzes zu schauen noch nicht fähig war.” schrieb Rainer Maria Rilke in seiner 1910 erschienenen Worpswede-Monografie, die sicherlich eine der lyrischsten Landschaftsdarstellungen innerhalb der Kunstliteratur ist. Mir scheinen diese Sätze ganz besonders passend für die Malerei und die Skulptur von Susanne Binsack zu sein, weil Rilke auf das Allgemeine, das Archetypische anspielt. An anderer Stelle in dem gleichen Buch geht Rilke auf das Verhältnis des modernen Menschen, besonders des Stadtbewohners, zur Landschaft ein. “Ähnlich wie die Sprache nichts mehr mit den Dingen gemein hat, welche sie nennt, so haben die Gebärden der meisten Menschen, die in den Städten leben, ihre Beziehung zur Erde verloren. Sie hängen gleich­sam in der Luft, schwanken hin und her und finden keinen Ort, wo sie sich niederlassen können.” Susanne Binsack gibt uns in ihrer Malerei etwas von dieser verlorenen Unschuld wieder. Die 1938 in Königsberg/Ostpreußen geborene Künstlerin schert sich nicht um irgendwelche Ismen oder Trends. Malen bedeutet ihr, sich mitteilen können, und das Medium ist für sie kein Ort für spitzfindige Versuche. Die Künstlerin strebt einer allgemein verständlichen bildnerischen Sprache zu, deren unerhörte Einfachheit und Stringenz zu überzeugen vermag. 

Susanne Binsack ist von der norddeutschen Landschaft geprägt. Von der Weite, den tieflastenden Horizonten und den Farben, die leuchten können und oft doch sehr ver­halten erscheinen. Wie beim Ballet folgt eine scheinbare Mühelosigkeit auf einen sehr konzentrierten, oft anstrengenden Arbeitsprozeß. Die einfache Form ist für Susanne Binsack das Hauptanliegen ihrer Arbeit. Landschaft, Architektur und der Mensch werden mit malerischen Mitteln aufs Allgemeingültigste hin reduziert. Die Mutter mit Kind, die weite Landschaft, die Skulptur mit ihrer geschlossenen Form, all dies kündet von einer Freude am Dasein, von Zuversicht und von einer großen Ehrfurcht vor der Schöpfung. Betrachten wir einmal ihre Portraits, so wird bei aller formalen Reduktion die Individualität nirgendwo aufgehoben, die Würde des Menschen in seiner Unverwechselbarkeit bewahrt. Man mag sich an Paula Modersohn-Beckers Mutterdarstellungen erinnert fühlen, die die Erde und Schöpfung gleichsam versinnbildlichen. Ein solcher Analogieschluß ist bestimmt so unrichtig nicht und doch scheint mir, daß Susanne Binsack etwas anderes dabei im Sinne hat. Bei Paula Modersohn-Becker ging es durchaus um Monumentalisierung, um Blut und Boden in einem freilich ideologiefreien Sinne. Susanne Binsack hingegen zeigt uns würdevolle Frauen voller Gelassenheit und bewußter Daseinsfreude. Das Individuelle liegt dabei nicht so sehr im Detail, das sie übrigens in ihrer großflächigen Malerei eher negiert, es liegt in der Far­­bigkeit und der Geschlossenheit der Form. Gleiches gilt für die Landschaft und die Architektur. Topographische Genauigkeit, Vedutenmalerei oder verifizierbare Landschaften sind hier keinesfalls beabsichtigt. Susanne Binsack ist eine Malerin des Atmosphärischen. Der Regentag, die Dämmerung, die Morgenstun­de, der Nebel, all dies wird von der Künstlerin durch Farbe und Form in geradezu archetypischer Weise festgehalten und für den Betrachter erfahrbar. Es liegt dabei auf der Hand, daß in diese Arbeiten eigene Erlebnisse eingewoben sind, die die Künstlerin bei Spaziergängen, Fahrradtouren und auf Reisen gehabt hat. Insofern ist die Malerei von Susanne Binsack eine Malerei von Eindrücken, von Impressionen. Dieses alles wird dann zur Form und damit allgemeingültig. 

Auch in ihren Stilleben ist Susanne Binsack eine Malerin des Einfachen und eine überzeugende Coloristin, die die lauten Töne meidet. Geschlossen und beeindruckend erdig sind auch die Skulpturen von Susanne Binsack, die sie in Sandstein ausgeführt hat. Das Thema dieser Arbeiten ist der Mensch. Es sind Paare und einzelne Personen, die sie greifbare Gestalt werden läßt. Auch hier ist es das Allgemeingültige, das Archetypische, das sie plastisch anstrebt. Paare verschmelzen miteinander und werden zu einem Individuum. Man mag an Brancusi, Modigliani oder an Maillol denken, wenn man kunsthistorische Vergleiche ziehen möchte. Susanne Binsack ist auch hier der figurativen Gestaltung verbunden. Es ist keine Skulptur, die die Formprobleme in den Vordergrund rückt, sondern eine, die den Betrachter ganz unmittelbar anspricht und berührt. Das Wesentliche ist das Ziel ihrer Arbeit und natürlich Allgemeinverständlichkeit. Susanne Binsack, eine Künstlerin der leisen Töne und eine Künderin von Humanität. Diese Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch ihr Werk und sie beweist, daß auch die klassischen Themen wie Stilleben, Landschaft und Portrait im gegenwärtigen Kunstgeschehen ihren Platz behaupten.

Pressetexte

Ausgewählte Pressetexte

Sehnsuchtsorte gespeist aus Erinnerung und Fantasie

Bad Homburger Woche vom 17.5.2018

Kunst als Stimme gegen Krieg, Gewalt und Chaos

Bad Homburger Woche vom 26.10.2017

Susanne Binsack hat die Heimat im Herzen behalten

Bad Homburger Woche vom 15.9.2016

Susanne Binsack errichtet in der Englischen Kirche unbewohnbare Gedankengebäude

Taunus Zeitung vom 13.2.2012

Häuser als “Schutzhüllen”

Bad Homburger Woche vom 21.8.2008

Landschaften ruhen in sich selbst

Oberurseler Woche vom 15.7.2004

Licht zu jeder Zeit

Wiesbadener Tageblatt vom 15.5.2003

Bilder und Skulpturen in der Englischen Kirche

Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ vom 18.08.1999

Kraftvolle Kunst, die so einfach anmutet

Taunus Zeitung vom 2.8.1999

Gelassener Respekt vor der Schöpfung

Frankfurter Rundschau vom 30.7.1999

Einfachheit der Werke beeindruckt

Westfalenpost vom 28.1.1998

Gefühl der Geborgenheit

Niedersächsisches Tageblatt vom 7.11.1997

Wesentliches erkennen

Hanauer Anzeiger vom 15.9.1997

Eine Frage des Mutes, unspektakulär zu sein

Offenbacher Post vom 9.9.1997

Die salzige Küstenluft schmeckt man förmlich auf den Lippen

Giessener Anzeiger vom 8.3.1997

Geistige Nähe einer Globetrotterin zu Ernst Barlach

Berliner Morgenpost vom 17.12.1997

Schlichte Gemälde mit beruhigender Wirkung

Münchener Merkur vom 18.5.1995

Melancholie, die Geborgenheit vermittelt

Süddeutsche Zeitung vom 16.5.1995

Bilder von der Schönheit und Kraft des Menschlichen

Taunus Kurier vom 27.5.1989

Fürstenbahnhof: Menschen verharren sprachlos

Taunus Zeitung vom 24.5.1989

Susanne Binsack stellt in der Landon School aus

Washington Journal vom 24.04.1987

Farben zum Leuchten bringen

Washington Journal von Dez. 1987

Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken

Taunus Kurier vom Okt. 1985 (Gruppenausstellung spectrum)

Kunst mit der Freude am Experimentieren

Taunus Kurier vom 3.7.1984

Frieden und Harmonie

Taunus Zeitung vom 28.6.1984

Zwischen Impression und strenger Form

Giessener Allgemeine Zeitung vom 1.3.1981

Laudatio von Dr. Martin Schmidt-Magin

Laudatio von Dr. Martin Schmidt-Magin

Nur wenige Künstler gibt es, deren Werke den Betrachter mit einem wohligen Gefühl anziehen und festhalten, und deren Präsenz auch dann noch lange nachwirkt, obwohl man längst die Ausstellung verlassen hat. Die Gemälde und Skulpturen von Susanne Binsack sind solche Werke. Sie zaubern immer wieder ein Lächeln in das Gesicht der Betrachter, zumindest geht es mir so, wenn ich die Werke von Susanne Binsack vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse.

Es bereitete mir große Freude, die Ausstellung mit Werken von Susanne Binsack in der Englischen Kirche in Bad Homburg 2018 zu kuratieren und die Objekte mit der Kirchenarchitektur in Beziehung zu setzen. Wohlwissend, dass der Widerhall der Motive der Bad Homburger Künstlerin beim Publikum ein positiver sein wird. Und genau dies ist auch geschehen.
Die Ausstellungskomposition fügte sich leichtfüßig und stimmig: Das Spiel der ehrwürdigen neugotischen Architektur mit den Porträts und Landschaften von Susanne Binsack; die sakrale Lichtführung mit ihren Stillleben und ihren Sandsteinskulpturen. Jedes Motiv, jedes Gemälde erhielt einen eigenen Platz und verfügte über ausreichend Raum, um sich entfalten zu können, gleichzeitig aber auch in Verbindung mit anderen Werken gesehen zu werden und so mit der eigenen Farbigkeit und der eigene Formensprache in Resonanz zu den anderen Werken zu stehen und zu wirken.

Die Porträts erinnern entfernt an Paula Modersohn-Becker, jedoch hat Susanne Binsack die düstere Schwere der Worpsweder Malerin weit hinter sich gelassen. Ja, die Dargestellten sind stilisiert und in eine entrückende Flächigkeit gebracht; doch bei aller Abstraktion bleibt der direkte Augenkontakt zwischen Dargestellten und Publikum, eine angenehme Wärme zeichnet diese Porträts aus. Man glaubt die Nähe zwischen Malerin und ihren Modellen zu spüren und als Betrachter oder Besucher bewegt man sich nur zu gerne in der unmittelbare Nähe der Porträts.

Ähnlich ergeht das dem Betrachter mit Susanne Binsacks Stillleben. Auch hier sei ein berühmter Künstlervorgänger erwähnt: Giorgio Morandi. Ähnlichkeiten gibt es in Komposition und Flächigkeit, doch die sterile Kühle des Norditalieners überhöht Susanne Binsack mit Farbtiefe und Brillanz. Was bei Morandi zusammengestellt wirkt, erfährt bei Susanne Binsack Lebendigkeit und inneres Leuchten, sodass die Vasen, Gefäße und Blumen fast menschliche Präsenz ausstrahlen.

Ihre Sandsteinskulpturen zeichnen sich durch plastizierte Menschlichkeit aus. Das Gefühl der Verbundenheit, der familiären Liebe bildet die passionierte Bildhauerin in dem warm erscheinenden roten Sandstein wieder und wieder aus.

Und schließlich ihre einzigartigen Landschaften und Häuser. Hier gibt es keinen Vergleich, der zu anderen Künstlern zu ziehen wäre. Zu individuell und einfach unvergleichlich sind diese besonderen Ansichten. Und auch hier spielt eine menschliche Komponente in die Darstellung der so vermeintlich toten Architektur hinein. Denn, weit gefehlt wer so denkt: schnell wird in Susanne Binsacks Motivwelt ein Fenster zu einem Auge, eine kleine satteldachbekrönte Hütte zum Kind eines mütterlich großen Hauses; zwei hochaufgeschossene Häuser zu einem Paar und eine weitere kleine Hütte auf einem Felsvorsprung wird zum Symbol von Einsamkeit, Durchhaltevermögen oder einfach nur von „Ich bin ganz oben!“.

Wenn unser Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe in seinem vor gut einhundert Jahren entstandenen „Künsterlied“ (aus den Wanderjahren 1827) folgendes schriebt, „Wohl erfunden, klug ersonnen, schön gebildet, zart vollbracht …“ so fühlt es sich an, als ob Goethe die Werke von Susanne Binsack bereits damals kannte. Denn genau so lässt sich die Vorgehensweise der Bildhauerin und Malerin erläutern: Die Komposition ist wohl gefunden, die Idee durchdacht, individuell und gelegentlich auch humorvoll, ihre Handschrift ist nicht anders als liebevoll zu nennen und ebenso das letztendliche Ergebnis.

Dr. Martin Schmidt-Magin, im Mai 2020

Skulpturen

Eindrücke von der Vernissage ‘Lichter Tag – Bilder der Ruhe’

Eindrücke von der Vernissage ‘Lichter Tag – Bilder der Ruhe’

Am Mittwoch, dem 8. Februar 2012, wurde im `Kulturzentrum Englische Kirche´ in Bad Homburg v.d. Höhe eine Ausstellung mit Bildern von Frau Binsack eröffnet. Der Film vermittelt einen kleinen Eindruck vom Fest der Vernissage. Er enthält Musik von dem Duo Romantico, Auszüge aus den Reden der Kulturdezernentin Frau Beate Fleige, der Kulturhistorikerin Dr. Edeltraut Fröhlich, und von Frau Binsack selbst. Die Aufnahmen machte Axel Binsack, der älteste Sohn der Künstlerin.

“Von Stille und Ruhe” von Dr. Friedhelm Häring

“Von Stille und Ruhe” von Dr. Friedhelm Häring

Einführung zu einem Katalog mit Arbeiten von Susanne Binsack, erschienen im Juli 1999

“Ein Paar” aus Sandstein, 1995, steht, Rücken an Rücken über die Hände an den herabfallenden Armen verbunden. Unter der körnigen Haut des Materials schwellen nur wenige Volumen aus der Masse des Sandsteinblocks, und doch ist aus der zurückhaltenden Formsprache der Arbeit die sehnsuchtsvolle Verbundenheit der beiden Figuren zu begreifen. Die Darstellungsform, die Susanne Binsack wählt, schildert nicht das Biografische der beiden Figuren, das Wie und Warum ihrer Beziehung, sondern einen Zustand.

So wie diese Figuren im “Paar” schlicht geformt sind, sind die Figuren der Künstlerin einfach da. Sie sitzen, kauern, lagern, hocken oder sind “Lauschende”, 1991, mit erhobenem Gesicht, einem inneren Klang nachspürend. Es gibt keine komplizierten Formgerüste, keine Aktion, keinen Verweis auf etwas Anekdotisches. Die Künstlerin bleibt in ihren Arbeiten am Kern des Steins. Daraus vermitteln die “Clowns”, 1997, ihre Metaphysik, ihr vergebliches Lächeln, ihr stilles Scheitern, ihre zarte Melancholie trotz und gerade wegen der kunstsprachlichen Zurückhaltung. Die “Greisin”, “Mutter und Kind”, die “Hockende” oder der “homo faber” sind in bestem Sinne eigentümlich geschildert. Nicht das laut Plappernde, sondern die verschweigende Kraft hebt die Künstlerin aus dem Stein. Es bleibt ein Geheimnis. Es bleibt ein Unbenennbares. Dies schützt die Figuren. Sie widersetzen sich durch diese Formgestaltung dem Dilemma irritierender Detailfülle, in der die Wahrhaftigkeit sich verfangen könnte und verloren ginge. So steigert, durch überschaubare Gestaltung, die Künstlerin die Aussagekraft. Sie will dem Wechsel der Erscheinungen das Bleibende abgewinnen. Ein zappelnder, hampelnder Clown böte kuriose Scherze. Die Clowns unserer Künstlerin sagen, wie alle Figuren, das Schmerzhafte und Beglückende, Erfüllung und Scheitern.

Mit ihren bildhauerischen Arbeiten, die Susanne Binsack seit etwa zehn Jahren gestaltet, schließt die Künstlerin nahtlos an ihre Malerei an, wo ebenso Menschengestalten zu sehen sind. Sie sind in stiller Haltung der modischen Alltagswelt entzogen. Skulpturen und Bilder strahlen Weltferne aus. Auch bei den Bildern gibt es die Darstellung einer “Hockenden”, 1999, mit gefalteten, großen Händen vor dem Leib. Diese Hockende sitzt, man weiß nicht wo, mit einwärts gewendetem Blick vor großen Flächen, selbst Farbfläche, bis ins Gesicht mit der flachen Gesichtsmaske, in der die Nase mit den Augen und dem Mund eine Formvokabel bildet. Sie ist aus der Bildmitte nach links verschoben, gibt die Bildmitte frei, will am Rande bleiben, für sich. Wird aber die Menschendarstellung in die Mitte genommen, wie im “Familienbild”, 1998, oder in dem Bild “Sibylle”, 1997, dann in wuchtiger Präsenz. Auch in diesen Bildern verweisen die Menschen über sich selbst hinaus. In dem Bild “Gratuliere”, 1999, ist es das Vergnügen, dem Gegenüber zu gratulieren. Die Freude am anderen ist deutlich zu spüren. Ähnlich ist es mit dem Bild “Festtag”, 1998, wo das Glück der Mutter, die mit ihrem Blütenkranz um den Kopf als die gekennzeichnet ist, die einen Grund zur Feier hat, ganz in der Freude an ihrem Kind aufgeht. In den großen, farbigen Flächen geht die Menschendarstellung auf, wird Farbfläche, gleicht sich dem Muster der halbabstrakten Malerei an. Das Individuelle geht in einen selbstverlorenen Traum ein, der die Menschen den Dingen, den Früchten, der Landschaft, der Natur ähnlich macht. Es interessiert an ihnen ihr Ausdruck, nicht der Charakter, nicht eine Eigentümlichkeit des Physiognomischen, sondern ihre Existenz. Die Ausdrucksform, die die Künstlerin dafür gefunden hat, scheint gerade heute besonders wichtig, denn sie schafft eine Würde, die dem Menschsein verloren zu gehen droht. Man darf den Vergleich mit der Ikone wagen, die ja das Heilige aus dem Alltäglichen heraushebt und erst durch die Abkehr von der in der Zeit stehenden Wirklichkeit das Überzeitliche und Gültige erreicht. Aus dieser Grundanlage bleiben die Menschenbilder von Susanne Binsack rein. Schön ist, dass sie nicht unnahbar sind, sondern zum Näherkommen einladen. Das unterscheidet sie wesentlich von den Ikonen.

Die Kathedrale von Chartres reiht an den Gewändefiguren des nördlichen Querhauses (1200-1210), am Königsportal und am Mittelportal der Westseite, Figurenschmuck von erhabener Kraft. Sie sind von überindividueller Weltferne aus der Orientierung auf Gott. Sie sind Teil eines wesentlicheren Ganzen, der Architektur und deren Feier des Göttlichen. Dies schafft ihre überzeitliche Stille. Aus dieser Grundeinstellung wächst der unerschütterliche Heilschoral. Der säulenhafte Bau der Figuren ist begründet aus der Würde als Träger der Religion. Jeder Gegenstand, jede Figur ist aus theologischen Gedankenbildern geformt und führt(e) den willigen Betrachter über den ikonografischen Zusammenhang in den Sog des Glaubens unabhängig von Zeitläufen und Zeitängsten.

Die Erschütterung dieses religiösen Weltgebäudes seit dem 19. Jahrhundert ist gewaltig. Gerade darum entwickelte die Kunst eine von theologischen und religiösen Betrachtungen unabhängige, selbständige Würdeform für das Menschliche.

Seit der Neuzeit wächst die individuelle Durchsetzungskraft, aber auch der kollektive Wahn, und zwischen diesen Blöcken des Ego und der Norm gerät das Einzelwesen in einen zerreibenden physischen und psychischen Erschöpfungszustand, aus dem es weder Stille noch Ruhe gewinnt, weder Orientierung noch Wissen. Befördert durch die televisionstechnische Präsenz von Not, Elend, Katastrophen und Kriegen, gefesselt in dem Netz der unverschämten allzeitlichen Erreichbarkeit durch Telefon, Handy, Fax baumelt der vernetzte Mensch am Haken der Werbung, des Internet, der Aktualität. Die Furcht vor technischem und menschlichem Versagen, vor Verachtung und Unverständnis wächst. Hier gibt die Kunst von Susanne Binsack eine beruhigte, beruhigende Antwort. Sie führt in ihren Arbeiten nicht in dieses Tableau kollektiver Unsicherheit. Sie sucht nicht nach falschen Paradiesen. Sie verklärt nicht das Vergangene. In ihren Arbeiten gestaltet sie den Augen-Blick aus der Stille des Inwendigen. Ohne die Substitute der Wirklichkeit zu leugnen, reagiert sie durch einen meditativen Kosmos, der ebenso selbstverständlicher Anteil des Wirklichen ist. Land, Mensch und Gegenstand werden in der Sicht der Künstlerin aus der zwanghaften Raum- und Zeitgebundenheit ausgelöst. Aus dem aktuellen Tun, aus den kurzlebigen Sinngaben, führt sie Lebendiges vor das Licht der Todesahnung und der Verletzlichkeit und gewinnt aus diesem Abschied für das Lebendige eine neue Kraft.

Der Gegenstand in den Bildern und Skulpturen von Susanne Binsack ist in diesem Sinne innegehaltenes Zeichen eines Transitorischen zwischen Erinnertem und Zukünftigem. Die Gegenstände und Geschöpfe wachsen aus diesem Moment metamorphotisch und werden Stilleben. Beobachten (Sehen) und Erinnern (Erkennen) lösen sich aus dem Vorbeiflug des Zeitlichen. Damit wird das Schwindende überwunden. Es bleibt ein starker Eindruck. Das schwere, flache Land bei “Hiddensee”, 1999, mit den schlichten Bauten über der sandigen Dehnung, das aufkeimende Licht des Tages, das zart in eine müde Straßenschlucht schlägt, deren Häuser sich noch die dunkle Nacht über die Fenster gezogen haben, wird als “Morgenstund”, 1999, für alle vergleichbaren Morgenstimmungen festgehalten. Aber auch hier, in den Landschaften, in der Darstellung der Häuserzeilen oder der Beschreibung von Häusergruppen im flachen Land, sind es nicht die Orte, sondern es sind Reflexionen über das Verbliebene und das Verbleibende. Dahinter steckt die tiefe Erkenntnis, daß von allem Gesehenen, von allem Lebendigen nur Splitter bleiben. In diesen verbleibenden Fetzen und Flicken sehnt sich der Mensch nach Anbindung, die ihm nicht die Details der Außenwelt bieten können, sondern nur der große Ton einer innenweltlichen Sicht. Er sieht in den Spiegel, er reflektiert.

Rainer Maria Rilke nannte die Spiegel in dem “III. Sonett an Orpheus” die erfüllten Zwischenräume der Zeit. Dieses Wort lässt sich auf die Kunstwerke von Susanne Binsack übertragen. Das Bild, das Kunstwerk ist die interessantere und tiefere Wirklichkeit. Bei Susanne Binsack sprechen die Blumen, Flaschen, Bauten, Landschaften, Krüge, Menschen aus dieser Ruhe ihren beruhigenden Monolog, voller Geneigtheit und Bereitschaft erkannt zu werden, angenommen zu werden, uns die Erfülltheit mitteilen zu dürfen. Die Arbeiten der Künstlerin betonen in ihrer Abkehr von den Zeitläufen die atmenden Farbflächen. Die großzügige Niederschrift ist erfüllt aus der Gleichheit von Glück und Unglück, die erst mit der Welt auflösbar ist. Dieser Gleichmut, diese Ruhe ist der Optimismus der Arbeiten. Die formstarke Sprache führt zu elementarer künstlerischen Präsenz. Rilke schrieb 1907 im Requiem an eine Freundin (Paula Modersohn-Becker) an einer Stelle:

“… und so wie Früchte sahst du auch die Frauen,
und sahst die Kinder so, von innen her,
getrieben in die Formen ihres Daseins. …”

Die von Rilke angesprochene Daseinsform ist ein aller Kunst innewohnendes Prinzip, das Eigentliche herauszuarbeiten. Nicht was einer sieht, sondern wie einer das Gesehene formt, ist entscheidend. Gleichzeitig ist das Formale, das Farbliche, das Gestaltete den Triebkräften der Natur und der Schöpfung elementar verwandt. Den von der Künstlerin dargestellten Menschen, Bäumen, Blumen, Früchten und auch den Landschaften ist diese Daseinsform zuzusprechen. Wie ist es aber nun mit den Flaschen, Häusern, Vasen, Krügen?

Durch die Farbe werden diese toten Gegenstände lebendig. Die Stilleben mit blauer oder schwarzer Flasche, die Vase auf grünen Bord leben – wie die Mauern der Häuser – aus einem speziellen Farbtemperament, das ihren Charakter, ihren Wuchs, ihre Einbindung, ihre Ausstrahlung verrät. Wie in den alten Stilleben des 17. und 18. Jahrhunderts leuchtet auch aus diesen Stilleben das “memento mori”, das “bedenke, daß du sterblich bist”. Dies war der alte Sinn des Stillebens bei den Niederländern, und noch heute gemahnen Blüte und Krug an Verblühen und Verfall. Gerade die Unmittelbarkeit, mit der die Künstlerin uns dies auf der Fläche unillusionistisch vor Augen bringt, wandelt die oft zarten Farbvaleurs in kraftvolle Akkorde sinnstiftender Farbharmonik.

Susanne Binsack steht im Leben. Sie selbst ist nicht abgewandt von der Welt. Ihre Arbeiten haben die Qualität eines Gegenentwurfs. Sie sind eine Alternative zum Lauten, Vordergründigen, zur Hektik, zu dem was uns frisst und uns Tempo macht. Ihre Kunstwerke sind voll ruhigem Atem. Vor allem in den Farben ihrer Bilder ist der ruhige, kräftig schlagende Puls zu spüren. Skulpturen und Bilder sind körperhaft in ihrer Ausstrahlung und lebendig in ihrem Geist. Einssein mit diesem Augen-Blick wird zu einem erfüllten Moment des glückbringenden Betrachtens.

Dr. Friedhelm Häring,

Direktor des Oberhessischen Museums in Gießen